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Corona im Fokus Detailansicht

Corona im Fokus: HHU-Expertise zur Pandemie
COVID-19: Die Stunde der Exekutive?

Die Covid-19-Krise hat eine Debatte über die Rolle von Parlamenten bei der Entscheidung über Corona-Schutzmaßnahmen ausgelöst. Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Marschall beschäftigt sich in einem Beitrag mit der Frage, wie die Parlamente in Zeiten der Pandemie gestärkt werden können.

Prof. Dr. Stefan Marschall ist Politikwissenschaftler und Prorektor für Internationales und Wissenschaftskommunikation, Foto: Susanne Kurz

„Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gibt den Regierungen des Bundes und der Länder weitreichende Entscheidungskompetenzen. An der Entwicklung und der Verabschiedung konkreter Maßnahmen im Rahmen der Infektionsschutzpolitik sind jedoch die Parlamente auf Bundes- und Landesebene wenig bis gar nicht beteiligt.

Eine Stärkung der Parlamente in der Infektionsschutzpolitik könnte die Effektivität und Akzeptanz von Maßnahmen erhöhen. Zum einen können im Rahmen der parlamentarischen Verhandlungen Vorschläge öffentlich debattiert und intensiv abgewogen werden. Zum anderen würde die parlamentarische Verabschiedung zu einer höheren Legitimation der Infektionsschutzpolitik beitragen. Denn einige Gebote und Verbote, z. B. die Schließung der Gastronomie oder Reiseverbote, greifen weit in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Hierüber muss das direkt gewählte Parlament entscheiden.  

Eine „Parlamentarisierung“ der Infektionsschutzpolitik kann aber auch an Grenzen stoßen: (1) Die Infektionssituation kann sich rapide und dramatisch ändern und damit auch der Bedarf an einer schnellen Reaktion. Trotz aller Möglichkeiten der Beschleunigung von parlamentarischen Verfahren benötigt Gesetzgebung Zeit. Bei einer übermäßigen Verkürzung des Gesetzgebungsverfahrens gingen paradoxerweise die Vorteile, etwa intensive Debatten und Abwägungen, verloren, derentwegen man Parlamente beteiligt.

(2) Eine Koordinierung der Infektionspolitik zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern wird im Fall der Einbindung insbesondere der Landesparlamente nahezu unmöglich. Das Ziel, bundeseinheitliche Standards zu entwickeln, würde damit in weite Ferne rücken.

(3) Eine epidemische Lage kann zu starken Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit parlamentarischer Körperschaften führen. So konnten die Parlamente in den ersten Wochen der Corona-Pandemie nur einen Teil ihrer Funktionen und diese nur in eingeschränkter Form ausüben. Diese Aspekte sind bei der Frage zu berücksichtigen, in welcher Form Parlamente in der Infektionsschutzpolitik stärker eingebunden werden können.

Insgesamt muss bei der Beteiligung der Parlamente in der Infektionsschutzpolitik differenziert werden. Weitreichende Eingriffe in Grundrechte, also „wesentliche“ Entscheidungen, würden dann einen parlamentarischen Beschluss erfordern. Die Regierungen könnten wiederum über kleinteilige Maßnahmen sowie die Anpassung von bereits parlamentarisch beschlossenen Geboten und Verboten befinden. Ein weiteres Kriterium kann „Gefahr im Verzug“ sein: Eilbedürftige Entscheidungen könnten von den Regierungen, weniger eilbedürftige im Parlament getroffen werden.

In den Bereichen, in denen Regierungen über Verordnungen Maßnahmen festsetzen, sind weitere Formen der Beteiligung von Parlamenten in der Infektionsschutzpolitik denkbar, die sich ergänzen könnten und die bereits in einigen Bundesländern eingesetzt werden:

  1. Ausgeweitete Unterrichtungspflichten der Exekutive: Die Regierungen sollten verpflichtet werden, regelmäßig sowie bei besonderem Anlass unmittelbar ihren Parlamenten über ihre Verordnungstätigkeiten sowie über Ergebnisse von Bund-Länder-Koordinationssitzungen Bericht zu erstatten.
  2. Verstärkte Kontrolle der Verordnungstätigkeit der Exekutiven: Die parlamentarische Kontrolle und Beteiligung an der Verordnungstätigkeit der Regierungen sollten gestärkt werden. Denkbar wäre die Einbindung von Fachausschüssen bei der Entwicklung von Verordnungen.
  3. Parlamentarischer Zustimmungsvorbehalt bei exekutiven Verordnungen: Verordnungen, die bei Gefahr im Verzug erlassen worden sind, müssten innerhalb eines bestimmten Zeitraums vom Parlament gebilligt werden, um in Kraft zu bleiben – oder sie verfallen automatisch. Generell sollten die Regierungsmaßnahmen zeitlich streng befristet werden.

Wünschenswert ist ein Ansatz, der die parlamentarische Beteiligung auf allen Ebenen stärkt – aber nicht pauschal und undifferenziert, sondern abhängig von der aktuellen Lage und der Qualität der jeweiligen Maßnahmen.“

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wirft zahlreiche Fragen nicht nur zu den gesundheitlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Folgen auf. Die Wissenschaft liefert hier entscheidende Fakten und Antworten. Viele Forscherinnen und Forscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) aus unterschiedlichen Disziplinen sind durch ihre Arbeit aktuell gefragte Gesprächspartner der Medien oder auch direkt in das Pandemie-Krisenmanagement eingebunden. Die HHU möchte ihre wissenschaftliche Expertise in die öffentliche Diskussion einbringen, um so zur Einordnung und Bewältigung der Corona-Krise beizutragen.

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Kategorie/n: Schlagzeilen, Pressemeldungen, Corona-Expertisen
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